
Off-Label-Einsatz
Gesundheit und Kosten im Konflikt
Die gesetzlichen Krankenkassen geben jedes Jahr 54 Milliarden allein für Arzneimittel aus, Tendenz steigend. Jahrestherapiekosten von 500.000 Euro pro Patientin oder Patient sind längst keine Seltenheit mehr. Hinzu kommen jeden Monat allein in Europa drei bis fünf neu zugelassene Arzneimittel nur für den Bereich Krebstherapie.
Weil der wissenschaftliche Fortschritt in der Medizin in einigen Gebieten enorm schnell vorangeht und es wichtig ist, schwerkranke Menschen schnellstmöglich zu unterstützen, werden viele Medikamente im sogenannten Off-Label-Use eingesetzt. Sie werden also genutzt, obwohl sie noch nicht allgemein zugelassen sind. Bei jeder einzelnen Behandlung müssen die gesetzlichen Krankenkassen dann über die Kostenübernahme entscheiden. Dafür greifen sie auf unsere unabhängige medizinische Expertise zurück. Denn für die Patientinnen und Patienten ist es genauso wichtig, medizinisch notwendige Behandlungen zu ermöglichen, wie auch unnötige oder sogar schädliche Maßnahmen zu vermeiden.
Nachgewiesener Nutzen statt Schaden
In der Begutachtung bewerten wir, ob die Off-Label-Versorgung ergänzend zur oder an Stelle der Standardbehandlung aufgrund der individuellen Situation medizinisch sinnvoll ist. Dabei ist bedeutsam, ob gesicherte Erkenntnisse vorliegen, dass die neue Behandlungs- beziehungsweise Untersuchungsmethode, kurz NUB, mehr Nutzen als Schaden bringt. Bei der Nutzenbewertung berücksichtigen wir auch gesetzliche Bestimmungen und vorhandene Sozialgerichtsurteile.
Im Dialog und vernetzt zur gutachterlichen Entscheidung
Über die Begutachtung in diesem Spannungsfeld berichtet Dr. Susanne Kapell, unsere Referentin für Arzneimittel, im Gespräch mit Kommunikationsmanagerin Sinah Sidonie Jakobeit.
Bei Anträgen im Off-Label-Use geht es meist um Arzneimittel für schwerkranke Patientinnen und Patienten. Daher entscheidet in unserem MD ein Gutachter diese Anträge nie allein
, hebt Kapell hervor und beschreibt den Begutachtungsprozess näher: Die Fälle werden in einem Team von spezialisierten Arzneimittelgutachtern fachübergreifend gemeinsam besprochen. Es erfolgt eine umfangreiche Literaturrecherche, bei der wir mittlerweile auch KI-unterstützte Formate einsetzen.
Zudem stehen wir im Rahmen sogenannter Sozialmedizinischer Expertengruppen (SEG) auf Bundesebene in einem engen Austausch mit anderen Medizinischen Diensten. Bei onkologischen Fällen erfolgt eine Beratung mit dem Kompetenzcenter Onkologie (KCO), wo es für jeden Bereich spezialisierte onkologische Begutachtende gibt.
Auch direkt von den Pharmaherstellern bezieht der Medizinische Dienst Berlin-Brandenburg Informationen. Bei hochkomplexen Fällen führen wir virtuelle Fallkonferenzen mit den behandelnden Ärzten durch, um unter Abwägung von Nutzen und Risiko der beantragten Arzneimittel zu der besten Lösung für den betroffenen Patienten zu kommen
, beschreibt Kapell den komplexen Begutachtungsprozess.
Volltext-Alternative zum Audio: Interview mit Dr. Susanne Kapell